Thursday, October 05, 2006

Gerüchteküche

Wie ich ja bereits erwähnt habe, ist Somaliland zur Zeit, im Einklang mit der restlichen islamischen Welt, vom Monat Ramadan betäubt. Wer nicht unbedingt arbeiten muss, verbringt den Tag über mit Schlafen, und bewegt erst am Abend wieder mit dem Rest der Gemeinschaft durch Hargeisas Straßen.

Es herrscht, kurz gesagt, eine Ruhe, die beinahe schon unheimlich wirkt. Die oft erwähnte Ruhe vor dem Sturm. Doch welcher Sturm? Es ist heiß, kein Blatt wiegt sich im Wind, ja nicht mal ein paar bunte Plastiksäcke fliegen durch die Luft.

Dafür hat ein Sturm anderer Art gestern die regungslose Oberfläche Hargeisas aufgewühlt. Vorgestern, zwölf Uhr mittags, tröpfelte aus heiterem Himmel die Nachricht ein, dass ein Franzose im Zentrum Hargeisas um Haaresbreite einem Schuss entkommen sei. Mehr Informationen boten die ersten Tropfen nicht, dafür zogen sie gleich eine Ausgangssperre mit sich.
Wie üblich explodierte auch vorgestern binnen kürzester Zeit der brodelnde Topf der hiesigen Gerüchteküche, und katapultierte ein Gerücht nach dem anderen ins Herz der ansässigen NGO Gemeinde, von wo aus es über Hauptschlagader bis in die letzte Vene transporiert wurde. So lernte ich bis zum frühen Nachmittag bereits drei Versionen des Vorfalls kennen.

Version Nummer Eins: Ein französischer Tourist (eine Kuriosität per se, da Somaliland ja nicht grad als gängige Touristendestination gilt) hatte einen Streit mit seinem Somali Freund (Ursache derzeit noch unbekannt), wobei letzterer (in Notwehr?) seine Spielzeugpistole gezogen hätte.

Version Nummer Zwei: Die Hauptdarsteller werden dabei beibehalten, allerdings mutiert die Spielzeugpistole zu einer richtigen Pistole. Wie sich allerdings zugunsten des Franzosen herausstellte, war sie nicht geladen.

Version Nummer Drei: Aus dem Franzosen wird ein englischer Student. Dieser wagte es, in der Öffentlichkeit zu trinken. Während Ramadan eine nicht gern gesehene Aktivität. Unglücklicherweise geriet er ins Blickfeld eines (durstigen?) Somalis, aber glücklicherweise nicht in das Schussfeld, denn der Protestschuss ging daneben.

Persönlich schenkte ich Version nummer eins am meisten Glauben, schließlich spielen während Ramadan viele Jungs mit Spasskrachern herum und erschrecken mit Knallfröschen harmlose Passanten.

Erst gestern Mittag bekam ich die offizielle Version der Geschichte zu lesen, die im Großen und Ganzen eine Mixtur der drei vorhergegangenen war. Titel: Anthony W.
Inhalt des Emails:

Dear Colleagues, On yesterday at 9:30 M. D. E. attempted to shoot a pistol a NewZealand student named Anthoney W., fortunately the pistol had got stack and Mr. Antoney was safe while he was staying in front of his Hotel called Oriental Hotel located central town of Hargeisa; the local people who where around caught the man with the pistol; The police arrested the man and two other men who were involving the incident. The police are investigating the case. As the lessons learned from the previous incidents in Somaliland; the civilians usually play the major role against the terrorist acts
So ist das in Somaliland. Wir sitzen auf einem Pulverfass, das wenig mehr bietet als Arbeit, gelegentliche Treffen und von Zeit zu Zeit ein Volleyballspiel. Ist es da verwunderlich, dass ein derartiger Vorfall sofort in allen möglichen Varianten verkleidet die Telefonleitungen verstopft?
Zur Beruhigung aller kann ich jedoch zum Abschluss sagen, dass ich trotz unzähliger Gerüchte bestimmten Sicherheitsmeldungen nach wie vor Glauben schenke. :-)
 

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